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Thema: Zwischen den Zeilen lesen (http://www.perfektibilistenorden.de/topic.php?id=4307)


Geschrieben von: Ozelot am: 29.10.10, 17:58:30
Gestern hatte ich meine Deutschklausur wiederbekommen. Die Klausur handelte über das Thema "Textanalyse". Als ich mir die Korrekturen von meiner Deutschlehrerin angesehen hatte waren mir einige Sachen unklar. Ich hab nämlich Probleme "Zwischen der Zeilen zu lesen" und Beziehungen zu oder mit Mitmenschen kann ich schwer einschätzen oder widergeben. Oder anders gesagt, den tieferen Sinn eines Textes zu verstehen bereiten mir Probleme. Ein Inhalt eines Textes kann ich soweit widergeben. Haben manche von euch auch Probleme mit solchen Sachen???

Hier ein paar Beispiele die ich falsch hatte und nicht weiß warum die Korrektur anders ist.

Text : Unentschlossen starrte sie in die hell erleuchteten Abteile, die sich schnell mit Leben füllten.

Ich hab diesen Satz Zitiert mit der Begründung : Das ist ein Beispiel dafür, dass sie sich wohlfühlt.

Korrektur : Das zeigt ihr Ausgeschlossen sein.

Warum zeigt das ihr Ausgeschlossen sein??? Wenn sich doch etwas mit Leben füllt und der Abteil hell ist, dann fühlt man sich doch wohl oder nicht?

oder...

Text : Der Mann blickte abschätzig auf sie herab und zeigte etwas Unverständliches vor sich hin murmelnd, auf den Plan.

Diesen Satz habe ich Zitiert mit der Begründung : Der Mann nimmt Frau Hagadir nicht wahr und beschäftigt sich weiter mit dem Fahrplan.

Korrektur : kalt oder herzlos sollte in ihrer Begründung erwähnt werden.

Wenn sich der Mann doch mit dem Plan beschäftigt und selber erstmal herausfinden möchte mit welcher Linie er fahren muss, was ist denn daran kalt/herzlos ??? Wenn ich Zeitung lesen würde und jemand redet mit mir aber ich reagier nicht, weil ich mich mit der Zeitung beschäftige bin ich doch nicht kalt/herzlos sondern "beschäftigt".

Ich hab mit sowas echt Probleme.

Die Kurzgeschichte heißt "Das Asyl" von Esther Köftgen.


Geschrieben von: haggard am: 29.10.10, 18:17:31
mit solchen sachen habe ich auch probleme und soll wohl ziemlich typisch für autisten sein. das von dir beispielhaft genannte kann ich dir nicht erklären. hatte im deutschunterricht mal eine interpretation geschrieben - die hatte ich komplett rot "korrigiert" zurückerhalten.;) wollte, dass der lehrer seine für mich nicht verständlichen hinweise erklärt - aber das tat er nicht. diesbezüglich werde ich wohl "dumm" sterben.


Geschrieben von: anne1 am: 29.10.10, 18:20:02
http://www.google.de/search?hl=de&source=hp&q=esther+k%C3%B6rfgen+das+asyl&aq=1&aqi=g10&aql=&oq=Esther+K%C3%B6&gs_rfai=

Hier mal Google.

Grundsätzlich muß man die Geschichte erstmal ganz lesen. Was ich nicht getan habe.

Aber: Die Heldin will anscheinend ein Abteil betreten, kann sich aber für keines entscheiden,
während die übrigen Passagiere keine Entscheidungsschwierigkeiten haben.
=>Sie ist anders als die anderen
=>Sie beobachtet die anderen bei ihrem Tun, beteiligt sich aber nicht daran, obwohl sie das eigentlich müßte/sollte
=>die Abteile sind hell und füllen sich mit Leben,
anders als der Durchgang(?) in dem sie sich aufhält.
Dieser ist dunkel und leert sich.
Ein eher unbequemer Aufenthaltsort.

Öha. Falls meine Vermutungen zutreffen, verstehe ich vielleicht das Problem :
Autisten mögen es dunkel, leer und kühl. Sie beobachten gern andere Menschen ohne sich einzumischen.

Die Lehrerin, und vermutlich die Autorin und die Heldin sind keine Autisten.
Gruß, anne


Geschrieben von: anne1 am: 29.10.10, 18:39:01
http://privat.oliverkuna.de/deutsch.php?doc=119

Hier eine Interpretation.
Die Geschichte selbst habe ich nicht gefunden, allerdings auch nicht lange gesucht.

Vergiß, was ich oben geschrieben habe.
Die Heldin, "Frau Hagardir", ist Ausländerin und Asylbewerberin.
Sie will jemanden besuchen, dazu muß sie mit dem Bus fahren.
Dabei trifft sie auf Schwierigkeiten, mit denen sie nicht gerechnet hatte: Sie muß eine Fahrkarte aus einem Automaten kaufen.
Sie bemerkt, daß sie das Problem alleine nicht lösen kann,
und versucht, andere Menschen um Hilfe zu bitten. Alle sind unfreundlich zu ihr (egal, warum).
Niemand hilft ihr.

Da endet die Kurzgeschichte.
Gruß, anne


Geschrieben von: Mama am: 29.10.10, 18:48:27
@anne1
Das ist eine Interpretation und keine Textanalyse dieser Geschichte.


Geschrieben von: Ozelot am: 29.10.10, 18:51:52
Zitat:
Die Lehrerin, und vermutlich die Autorin und die Heldin sind keine Autisten.


Meine Deutschlehrerin weiß ja, dass ich Autist bin aber selbst wenn sie mir es versucht zu erklären, dann kann ich mir das schlecht vorstellen. Entweder ich verstehe das falsch oder sie erklärt es einem Autisten unverständlich was für Nichtautisten verständlich wäre. Sie hat mir ja angeboten, dass ich mal eine Analyse schreiben und abgeben kann was ich auch machen werde. Durch das Thema Textanalyse werde ich mich wohl durchquälen müssen...

@ azrael : Naja, wenigstens bin ich nicht allein mit den Problemen ;). Scheint aber vielen so zu gehen. Eines der Probleme ist ja zudem, dass man sich in die Figuren "hineinversetzten" muss. Puh...mir das etwas zu hoch, bin froh wenn das Thema abgeschlossen wird.

@ anne1 : "Sie bemerkt, daß sie das Problem alleine nicht lösen kann". Genau, nur mein Fehler scheint gewesen zu sein, dass ich angenommen habe, dass ihr Lexikon ihr Helfer ist. (Bitte nicht lachen) ich hab das Lexikon mehr beschrieben als die Mitmenschen in dieser Geschichte. Deshalb waren sechs Zeilen rot unterstrichen!!!

Naja...


Geschrieben von: 55555 am: 29.10.10, 18:54:11
Bei solchen Schuldeutungen der Lehrer drehen sich wohl auch etliche Autoren im Grab um.


Geschrieben von: Ozelot am: 29.10.10, 19:03:28
Ich denke vielen Lehrern sind selber solche Sachen nicht immer verständlich, weil als ich nach der Stelle mit der Bäckereriverkäuferin gefragt hatte, wurde sich meine Deutschlehrerin auch unsicher. Sie hat oft vermutlich gesagt. Vermutlich hat sie was gegen Asylanten oder sie ist vermutlich schlecht gelaunt...Wie können andere das nur mit "Zwischen der Zeile lesen"? Das wird mir wohl ewig ein Puzzle bleiben traurig


Geschrieben von: Mama am: 29.10.10, 19:07:07
Bei Interpretionen, sollst Du beschreiben wie die Geschichte aus Deiner Sicht wirkt. Wie Du sie (die Geschichte) verstanden hast.
Bei einer Analyse rückt die Geschichte in den Hintergrund und die Absicht des Autoren soll interpretiert werden.


Geschrieben von: zoccoly am: 29.10.10, 19:09:22
Zitat von Ozelot:

Text : Unentschlossen starrte sie in die hell erleuchteten Abteile, die sich schnell mit Leben füllten....
Warum zeigt das ihr Ausgeschlossen sein??? Wenn sich doch etwas mit Leben füllt und der Abteil hell ist, dann fühlt man sich doch wohl oder nicht?


Ich fühle mich dann nicht wohl und kann es auch begründen, dann ist es MEINE Interpretation, denn die Hauptperson hätte ja das gleiche Gefühl haben können.

Edit: Hast du den Fakt ignoriert, dass die Person als UNENTSCHLOSSEN dargestellt wird?

Zitat:
Diesen Satz habe ich Zitiert mit der Begründung : Der Mann nimmt Frau Hagadir nicht wahr und beschäftigt sich weiter mit dem Fahrplan.


sehe ich zum großen Teil auch so, aber ABSCHÄTZIG, heißt nicht komplettes Ignorieren, aber auf keinen Fall kaltherzig, sondern ist ein negativ, belastetes Adjektiv

Ich kann mir nicht vorstellen, dass E. Köftgen neben der Kurzgeschichte gleich die einzig, mögliche Interpretation mitgeliefert hat.
Es ist schon kurios, dass Künstler die ein altes Theaterstück neu inszenieren, dann als besonders angesehen werden, wenn sie es mal aus einem anderen Blickwinkel interpretieren.
Es ist auch interessant, dass unter Google erstmal die Interpretationen gefunden werden und nicht der eigentliche Text.
Zu meiner Schulzeit gab es das in diesem Fall zum Glück noch nicht.
Eine Interpretation wurde von meinen Lehrern als richtig anerkannt, wenn sie begründet wurde und schlüssig war.
Ich hatte insofern kaum Schwierigkeiten, außer, ich sollte aus einem Gedicht, welches die Natur beschreibt, eine gesellschaftliche Analyse tätigen, da hatte ich dann auch keinen Bezugspunkt mehr.
Da die Lehrer heute scheinbar Wert auf vorgefasste Interpretationen Wert legen und nur diese akzeptieren, kann ich dir nur raten, dass du zur Vorbereitung einer Klausur, bei der das Thema bekannt ist, dich nur mit den Interpretationen beschäftigst.

Edit: Beitrag bezieht sich jetzt auch nur auf eine Interpretation.


Geschrieben von: anne1 am: 29.10.10, 19:51:43
Hallo, Ozelot,
nein, das hat nichts mit Unsicherheit zu tun, sondern ganz generell kann man nie 100-prozentig sagen, warum jemand sich verhält, wie er es tut.
Man beschreibt das Verhalten möglichst genau, bewertet es aber zunächst nicht bzw nur vorläufig.
Dann spekuliert man über mögliche Gründe für das Verhalten:
Die Verkäuferin hat vielleicht einen oder mehrere der folgenden Gründe:
-sie ist schlecht gelaunt
-sie ist krank
-sie hat was gegen Asylanten
-sie hat Anweisungen vom Chef,kein Geld zu wechseln
-sie hat andere Sorgen
-sie ist immer mürrisch
-noch irgendwelche anderen Gründe

Ich habe die Geschichte nicht gelesen, und sowieso
erfolgen meine Aussagen ohne Gewähr.
Gruß, anne


Geschrieben von: Hans am: 29.10.10, 20:11:28
Ich habe die Geschichten nicht gelesen, hätte aber damals in der Schule
den Wörtern "abschätzig" und "unentschlossen" auch nicht so viel Bedeutung beigemessen,
wie heute um da viel zu interpretieren.
Viele Leute schauten mich abschätzig an, da wäre das nichts Besonderes...
Ich war oft erst bei der Türe stehen geblieben und habe erst beobachtet wie sich ein Raum füllt,
das wäre für mich auch kein auffälliges Verhalten...

Aus der Zusammenfassung kann man manchmal das herausholen,
was man in dem vielen Text eines Werkes nicht findet.
In diesem Sinnzusammenhang muß man die Teile dann gewichtet interpretieren, denke ich, aber ich habe ja keine Ahnung.
Das ist dann quasi der Blick auf das Ganze, der einem durch eine Zusammenfassung erst gelingt.
Das ist wohl autistisch normal, da brauchst Du Dir nichts denken.;)
Ist denn dieser Bereich "Interpretationen" so wichtig für die Deutsch-Gesamtnote?
Bei meinem Abschluß auf der Realschule hatte ich in Deutsch eine schlechtere Note als in Englisch.

Ich habe mich nicht geschämt. Nie wieder hat jemand danach gefragt.