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Autor Nachricht
Paula
(Gastzugang)

geändert von: Paula - 20.03.10, 13:13:05

Zitat von azrael:

einige nicht autistischen menschen geben an, dass die kommunikation mit autisten anstrengend ist bei dem wissen, dass direkt geschrieben wird, nichts irgendwie so formuliert wird, dass anzunehmen wäre, irgendwas anderes würde damit ausgedrückt werden wollen. warum das so schwierig ist, verstehe ich nicht.


Ich kann jetzt nur von mir und meiner Art Wahrnehmung bzw. Denken erzählen. Im übrigen glaube ich nicht, dass es nur zu Kommunikationsschwierigkeiten von Autisten und Nichtautisten kommt, sondern zwischen Menschen überhaupt.

Ich muss zu meiner Person sagen, dass eine sogenannte "Kinästhetin" bin, dass heißt ich nehme sehr stark über das Fühlen war. Zum Beispiel spüre ich bei Gruppenansammlungen Energien, die sich zwischen den Menschen ausbreiten. Viele meine Ideen und Gedanken nehme ich also über das Fühlen auf. Und daher habe ich oft Probleme, das was ich wahrnehme in Worte zu fassen. Noch schwieriger wird es, diese auf den Punkt zu bringen.

Ich denke sehr vernetzt und in großen Zusammenhängen, Details nehme ich oft überhaupt nicht wahr oder zur Kenntnis.

Außerdem denke ich in Metaphern und Bildern, welche wiederum nicht in Worte zu fassen sind. Deshalb ist die Gebärdensprache für mich eigentlich viel geeigneter als die Lautsprache.

Außerdem interpretiere ich sehr, sehr gerne. Das heißt, wenn ich einen Text lese, lese ich den Inhalt. Seltens aber die Wortbedeutung.

Das bin ich. Wenn ich hier schreibe, dann muss ich plötzlich auf eine Ebene gehen, die mein Schwachpunkt ist. Das strengt an, auch wenn ich das gerne tue. Du wirst in meinen Beiträgen sehr oft Worte wie "empfinden", "Wahrnehmen" "fühlen " oder ähnliche Worte finden. (Menschen, die eher in Wortbedeutungen den (auditiv) drücken sich wieder anders aus als Menschen, die stark visuell veranlagt sind.)

Aber dennoch kommt es zu Mißverständnissen, weil Worte für mich immer mit Bildern und Gefühlen verbunden sind. Wenn ich das Wort "Katze" höre, dann habe ich bestimmte Bilder und Erinnerungen und Wertungen im Kopf. Und die unterscheiden sich von den Bildern, die meine Nachbarin mit Katzen verbindet, da diese eine Katzenliebhaberin ist (und ich nicht).

Als fühlender, interpretierender, metapherndenkender Mensch ist es nahezu unmöglich, nur auf Wortbedeutungen umzusteigen, und wenn, dann nur sehr kurz.

Außerdem kann ich einigen geradlinigen-logischen Gedankengänge überhaupt nicht folgen oder diese verstehen.

Natürlich gibt es auch Aussagen, die ich nachvollziehen kann.

Aber Worte sind für mich nicht mit eindeutigen Inhalten besetzt.

Zitat:
azrael
ist es vorstellbar oder verständlich, dass im allgemein verwedeten hochdeutsch zwischen autisten und nicht autistischen menschen ebensolche "dialekt"schwierigkeiten bestehen können, obwohl rein optisch kein unterschied festzustellen ist?


Ja, ist es, auch unter Nichtautisten. Wenn ich mit Menschen spreche, die keine Kinästheten sind, kommt es regelmäßig zu Mißverständissen.

Ich gebe Dir ein Beispiel. Wenn in Norddeutschland ein Mensch zu jemanden anderen "jaja" sagt, kann es bedeuten, lass mich in Ruhe (oder Leck mich am Arsch...also eine Beleidigung.) Wenn hier im Rheinland jemand "jaja" sagt, bedeutet es einfach "jaja", ohne anderen Inhalt. Ehe mein Mann und ich dahinter gekommen sind, gab es so einige Kabbeleien. Und er versteht bis heute nicht, das für mich ein "jaja" oft beleidigend wirkt...

LG
Paula

20.03.10, 13:11:53
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

geändert von: 55555 - 20.03.10, 14:45:21

Zitat von NorbertMN:
Du fragst, warum ich so betone, dass Menschen verschiedene Interessen haben. Das ist meine Antwort auf die von dir erwähnten Win-win-Situationen. Es ist schön, wenn es sie gibt, aber sie sind natürlich längst nicht immer herstellbar. Ich nehme als Grundmuster, dass Menschen ihre Interessen gegeneinander abgleichen und ins Gleichgewicht bringen.

Also ich verstehe unter eine Win-Win-Situation einen Ablauf zwischen Parteien, bei denen unterm Strich alle Parteien gewonnen haben. Das kann eine Tausch sein. A gibt Gegenstand X an B und bekommt dafür Gegenstand Y. Beide empfinden den jeweils neu erhaltenen Gegenstand für sich selbst als wertvoller. Entscheidend ist für mich dabei nicht, ob A Gegenstand Y am liebsten geschenkt bekommen hätte und ihm an Gegenstand X z.B. wegen dessen Tauschwert durchaus auch ein wenig lag.

Du scheinst mir jedoch davon auszugehen, daß Win-Win bedeuten müsse, daß niemand der Beteiligten "Mühe" investieren müsse.
Zitat:
Im Umgang mit meinem Sohn gehe ich natürlich ständig auf diesen Faktor ein, indem ich die Lebensbedingungen möglichst auf ihn abstelle.

Nun weiß ich aber, daß viele NA ohne eingehendere Beschäftigung gar nicht erkennen, wo wesentliche Probleme liegen könnten. Welche kennst du denn?
Zitat:
Die Anforderung sich anzupassen bleibt selbstverständlich bestehen.

So einfach ist das mit "Anpassung" aber nicht und das was unter diesem Begriff verstanden wird kann letztlich sehr verschieden sein. Anpassung kann aus meiner Sicht auch nicht eine erste Priorität sein, z.B. wenn Anpassung mit dauerhaftem Leid und entsprechenden Folgen verbunden wäre. Im Grunde ist die Anforderung "Anpassung" eine sehr schwammige Angelegenheit. Vielleicht sollten sich Querschnittsgelähmte auch weniger anstellen und Treppen einfach hochkriechen?

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
20.03.10, 14:43:27
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Claudia12
(Standard)

Hallo!

Zitat:
durch deine äußerungen habe ich den eindruck erhalten, dass du deinen eigenen sohn nicht verstehst und auch nicht gewillt wärst, dieses zu versuchen. anderenorts schriebst du, dass du es als respektlosigkeit deinem sohn gegenüber empfinden würdest, "hinter" sein verhalten zu blicken. aber genau das ist notwendig. wie willst du ihn denn sonst verstehen können?


Ich kann Norberts Haltung verstehen. Ich meine, wie kann man wissen, was ein Mensch denkt, wenn er sich nicht äußern kann? Wenn wir uns sein Verhalten fremd vorkommt? Angenommen, ein Autist hat „Wutanfälle“, beißt sich selbst in die Hand etc. Okay, natürlich kann das daran liegen, dass er durch das laufende Radio reizüberflutet ist, aber kann auch tausend andere Ursachen haben. Woher sollen wir dann wissen, welche von diesen tausend möglichen Dingen das ist, was diesen „Wutanfall“ ausgelöst hat? Natürlich versuche ich dann, das störende zu finden und abzustellen, wenn das möglich ist, aber das wird eben schwieriger, wenn sich ein Mensch nicht gut äußern kann. Dann bleibt eben nur Rätselraten, und das ist eben für beide Seiten unbefriedigend, aber nicht zu ändern. Und es gibt eben auch Störfaktoren, die ich nicht abstellen kann.

Eine gewisse Anpassung ist auf beiden Seiten nötig. Das heißt nicht, dass der Autist seine gesamte Persönlichkeit ändern muss, um den Nichtautisten zu gefallen, was ja auch gar nicht funktionieren würde. Es geht dabei gar nicht darum, dass der Autist nicht mehr mit den Händeln wedeln soll usw. Dinge wie Händewedeln usw. sind ja Dinge, die niemanden stören sollten. Aber es gibt einen Satz der besagt, die Freiheit des Einzelnen hört da auf, wo die Freiheit des anderen einschränkt wird. Und das gilt eben auch für Autisten, genauso wie für Nichtautisten.

Ein kleines Beispiel zur Veranschaulichung: Ich betreue einen Autisten. Wenn mein gleichaltriger Bruder weint, und das autistische Kind auf ihn losgeht und ihn kneifen will, weil er eben mit weinenden Menschen überfordert ist, dann muss ich ihn festhalten, damit er meinem Bruder nicht weh tut. So einfach ist das. Da muss sich der autistische Junge anpassen, kann ihm zwar immer wieder erklären, warum mein Bruder geweint hat, aber weh tun darf er ihm nicht. Genauso wie wenn er unsere Katze treten will.
Wenn er ständig mit Gegenständen herumwirft, versuche ich auch, das abzustellen, weil es mich eben stört. Denn schließlich bin ich es ja, der alles wieder aufräumt und der die Gegenstände ersetzt, wenn etwas kaputt geht. Ich kann aber mit ihm mit einem Ball auf den Sportplatz gehen, wo er dann so viel werfen kann wie er will.

Das sind eben alles Dinge, wo sich Autisten anpassen müssen, anders geht es nicht. Oder kann mir jemand von euch sagen, wie es anders gehen soll.

Auch Menschen, die mit Autisten zu tun haben, müssen sich anpassen, und das tun sie auch, auch, wenn ihr das vielleicht nicht seht. Wenn ich mit einem Autist zu tun habe, von dem ich weiß, dass er sehr lärmempfindlich ist, dann drehe ich nicht das Radio laut auf, sondern höre in einem anderen Zimmer Radio, sodass er sich nicht davon gestört fühlt. Das geht eben in der Familie so. Aber wenn ich mit einem lärmempfindlich Autisten in einem Geschäft bin, wo aus den Lautsprechern Musik dudelt, dann kann ich dagegen nichts machen. Dann ist das eben so. Da kann man sich nicht nach einem einzigen Menschen richten, so weh das vielleicht tut.

Ich finde es schade, wenn hier die Meinung vertreten wird, dass die Eltern immer die sind, die Schuld sind und keine Rücksicht nehmen. Mit gegenseitigen Anfeindungen wird wohl niemanden geholfen. Die Last, die Eltern von schwer autistischen Kindern zu tragen haben, ist nicht zu unterschätzen. Das Kind trägt keine Schuld an dieser Last, und das behauptet hier ja auch niemand. Trotzdem ist diese Last da, und ein bisschen Respekt gegenüber Eltern wäre schon schön.

Und was mir hier auch auffällt, dass hier das Bild von „dem einen Autisten“ vertreten wird. Ihr müsstet ja eigentlich am besten wissen, dass Autisten sehr unterschiedlich sind. Wenn der eine etwas kann, kann der andere noch lange nicht. Was den anderen stört, ist für einen anderen kein Problem. Zum Beispiel kann der Autist, den ich betreue, keinen Stift halten, und andere Autisten, wie der Sohn der „starken dame“ malen Kunstwerke, obwohl sie erst halb so alt sind. Dagegen liebt der Autist, den ich betreue, Geräusche aller art, wo sich andere die Ohren zuhalten oder ausflippen.

Zitat:
Also ich verstehe unter eine Win-Win-Situation einen Ablauf zwischen Parteien, bei denen unterm Strich alle Parteien gewonnen haben. Das kann eine Tausch sein. A gibt Gegenstand X an B und bekommt dafür Gegenstand Y. Beide empfinden den jeweils neu erhaltenen Gegenstand für sich selbst als wertvoller. Entscheidend ist für mich dabei nicht, ob A Gegenstand Y am liebsten geschenkt bekommen hätte und ihm an Gegenstand X z.B. wegen dessen Tauschwert durchaus auch ein wenig lag. Du scheinst mir jedoch davon auszugehen, daß Win-Win bedeuten müsse, daß niemand der Beteiligten "Mühe" investieren müsse.

Ich glaube, damit hast du erfasst, was Norbert sagen wollte, jedenfalls habe ich ihn so verstanden. Damit beide Parteien gut leben können, müssen sich beide ein Stück weit anpassen.

LG Claudia
20.03.10, 18:26:10
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

Zitat von Claudia12:
Woher sollen wir dann wissen, welche von diesen tausend möglichen Dingen das ist, was diesen „Wutanfall“ ausgelöst hat? Natürlich versuche ich dann, das störende zu finden und abzustellen, wenn das möglich ist, aber das wird eben schwieriger, wenn sich ein Mensch nicht gut äußern kann.

Weswegen es so wichtig ist mit anderen Autisten zusammen zu überlegen, was es sein könnte.
Zitat:
Und es gibt eben auch Störfaktoren, die ich nicht abstellen kann.

Ich glaube nicht, daß das auf Vieles und Wesentliches zutrifft. Allerdings ist die Empfindlichkeit viel größer, wenn die Lebensbedingungen in vielerlei Hinsicht schon nicht passen und deswegen eine enorme dauerhafte Belastung vorliegt, die praktisch immer vermeidbar ist.
Zitat:
Eine gewisse Anpassung ist auf beiden Seiten nötig.

[...]

Wenn mein gleichaltriger Bruder weint, und das autistische Kind auf ihn losgeht und ihn kneifen will, weil er eben mit weinenden Menschen überfordert ist, dann muss ich ihn festhalten, damit er meinem Bruder nicht weh tut. So einfach ist das. Da muss sich der autistische Junge anpassen, kann ihm zwar immer wieder erklären, warum mein Bruder geweint hat, aber weh tun darf er ihm nicht.

Merkst du was?
Zitat:
Aber wenn ich mit einem lärmempfindlich Autisten in einem Geschäft bin, wo aus den Lautsprechern Musik dudelt, dann kann ich dagegen nichts machen. Dann ist das eben so. Da kann man sich nicht nach einem einzigen Menschen richten, so weh das vielleicht tut.

Warum nimmst du den Autisten dann mit (vorausgesetzt, er will das nicht ausdrücklich selbst)?
Zitat:
Ich finde es schade, wenn hier die Meinung vertreten wird, dass die Eltern immer die sind, die Schuld sind und keine Rücksicht nehmen.

Wie kommst du darauf, daß es so wäre?
Zitat:
Die Last, die Eltern von schwer autistischen Kindern zu tragen haben, ist nicht zu unterschätzen.

Und dennoch wohl ind en allermeisten Fällen in keiner Weise mit dem zu vergleichen, was der Autist an (fast immer vermeidbaren) Beeinträchtigungen erlebt. Wenn dann Eltern von Autisten erzählen, was sie erdulden würden geht das aus meiner Sicht zu großen Teilen auf das eigene Handeln zurück und ist eine logische Folge desselben.
Zitat:
Und was mir hier auch auffällt, dass hier das Bild von „dem einen Autisten“ vertreten wird.

Woraus schließt du das? Dir ist klar, daß "Autismus" auch mit teils großen Gemeinsamkeiten verbunden ist (sonst wäre es ja wenig sinnvoll Autisten unter einen Begriff zusammenfassen)? In manchen Bereichen unterscheiden sich Autisten deutlich, aber in anderen wieder recht wenig.

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
20.03.10, 19:21:04
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anne1
(Standard)

Hallo, Norbert,
ich habe für Dich unten bei "autismusfreundliche Industriewaren" ein Thema eröffnet.
Gruß, anne
20.03.10, 19:41:54
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feder
(Autistenbereich)

Sicher ist es einfacher, das Störelement auszuschalten/störendes Verhalten zu ändern, wenn die betreffende Person dies selbst äussern kann. Dennoch geschieht das oft nicht oder nur widerwillig (was dann wohl wieder irgendwann aufgenommen wird), weil das ja doch nicht so sehr stören kann und der Autist sich doch nicht so haben soll. Allgemein wirke ich auf mein Umfeld vermutlich irgendwie seltsam. Obwohl ich der Meinung bin, dass meinerseits mehr Anpassung nicht geht, wird immer wieder die Forderung aufgestellt, ich solle mich doch nicht so haben und es doch nicht allen so schwer machen. Ausserdem könnten mich doch selbstverständliche Dinge nicht ernsthaft stören. Dies auch von Menschen, denen an sich Autismus bekannt sein sollte. Anpassung mir gegenüber findet meist nur in Bereichen statt, die ich mir mühsamst erkämpfe und auch immer wieder verteidigen muss, da es Menschen scheinbar nicht einsehen können, dass das nicht nur irgendwelche Launen von mir sind.
Wenn ein nichtautistisches Baby, das sich noch nicht sprachlich äussern kann, brüllt, wird wohl kaum jemand auf die Idee kommen, da keine Ursachensuche betreiben zu können. Bei Autisten ist es vielleicht für Nichtautisten schwerer, diese Ursachen zu finden, da das Erleben der Welt sich vielleicht erheblich unterscheidet. Dennoch sollte es meiner Ansicht nach möglich sein, durch Beobachtung, die wichtigsten Störfaktoren auszuschalten. Oft sind es ja immer wieder dieselben oder ähnliche Dinge, die stören. Was daran respektlos sein soll, weiss ich nicht. Für mich wirkt es eher respektlos, behebbares Leid, das sich so ganz offensichtlich zeigt, zu ingorieren und mit "lässt sich eben nicht ändern" abzutun.
20.03.10, 19:54:03
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haggard
(Autistenbereich)

geändert von: haggard - 20.03.10, 20:21:13

@Claudia12:
dass alle autisten und auch alle anderen menschen unterschiedlich sind, ist mir bewusst. ich bin schließlich auch nicht wahrnehmungsblind.

mir scheint noch nicht verstanden zu werden, um was es geht.
warum werden äußerungen in bezug auf das, was eltern erkennen lernen könnten als respektlosigkeit bewertet?

warum MUSS der autist (das ist so eine umschreibung wie "der mensch") festgehalten werden?
wie reagiert er sonst auf körperkontakt?

ein stark weinender mensch hat von seinem gesicht auf mich eine wirkung, als wäre dessen gesicht aufgeplatzt. warum sollte ich etwas ertragen lernen, das mich zutiefst verängstigen kann? und wenn ich körperkontakt nicht ertragen kann auch noch dabei festgehalten werden?

wie wird etwas erklärt?

als radioempfindlicher mensch stören mich dabei vor allem frequenzen, die neben den musik- und sprachgeräuschen zu hören sind - da ist es im grunde unerheblich, ob das gerät laut oder leise eingestellt ist.
oder wenn sender nicht ganz exakt eingestellt sind und über allem immer noch ein rauschen zu vernehmen ist.
jedenfalls ich kann mich heutzutage alternativ auch selbst schützen und mir die ohren zuhalten oder mir bauarbeiterlärmschutz drüberstülpen. wenn dieses jedoch auch nicht von meiner umwelt akzeptiert wird, die leute sogar wütend reagieren - immer öfter gewinne ich den eindruck, als müssten autisten viel flexibler sein, während ihnen nachgesagt wird, unflexibel zu sein.

wenn ich personal für mich beschäftigen würde, wären die dinge, die gefordert werden können noch andere, als handele es sich um familienmitglieder. wobei auch bei letzterer konstellation möglichkeiten geschaffen werden könnten, ohne dass bestimmte personen zu sehr eingeschränkt werden "müssten" oder an sich unmöglichkeiten gefordert würden.

ich habe diverse geschäfte kennen gelernt. oftmals gibt es geschäfte als alternative zu größeren anbietern, bei denen keine dauerbeschallung erfolgt.

wenn es um kleidung geht und in der näheren umgebung nur geschäfte anzutreffen sind, in denen von der beschallung her rockkonzertniveau herrscht, wird per katalog eingekauft in jeweils drei verschiedenen größen, damit eine wahrscheinlich passt und der rest geht retour.

wenn eltern oder andere eine schuld in den äußerungen hineinlesen, ist dieses in erster linie eine persönliche einstellungssache derjenigen, die so etwas daraus deuten.
jedoch ist leider oftmals in den beschreibungen von eltern so - mitunter auch ausdrücklich - dass keine rücksicht "eingesehen" wird. äußerungen wie "wir können doch nicht immer zurückstecken". wäre es ein zurückstecken, nicht in allen räumen radio zu hören sondern nur in einem raum, sodass ggf. das kinderzimmer ein tatsächlicher rückzugs-/erholungsort für das kind sein könnte?

aus autistensicht ist es meiner meinung nach sehr wichtig, dass menschen, die mit autisten arbeiten oder eltern, deren kinder autistisch sind, sich direkt mit autisten über ihnen unverständliches austauschen. die wahrscheinlichkeit dürfte recht hoch sein, dass es in den diversen foren, die durch autisten betrieben werden oder auch per selbsthilfegruppen durch autisten geführt (an denen sich nach anfrage ggf. auch nicht autistische menschen beteiligen können, wenn sie fragen besitzen) irgendeinen autisten gibt, der sich sehr ähnlich in gleichenden situationen verhielt, den vermutlichen grund benennen kann und auch schildern, aus welchen beweggründen sich wie verhalten wird.
aus meiner sicht ist es nicht hilfreich für das zusammenleben oder für betreuung, wenn diejenigen menschen, die nicht selbst autistisch sind, "herumdoktern" darüber philosophieren, was sein könnte oder wie es oftmals scheint von nicht autisten auf autisten schließen, dadurch falsch deuten und dementsprechend falsche maßnahmen ergreifen.
20.03.10, 20:11:01
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Claudia12
(Standard)

Hallo!

Feder, da stimme ich dir zu. Aber ohne Anpassung geht es eben nicht, du forderst ja auch von Nichtautisten, dass sie sich anpassen. Wahrscheinlich ist kaum ein Nichtautist in der Lage zu verstehen, welch große Anpassungsleistung Autisten vollbringen. Doch du als Autist siehst vielleicht auch nicht immer die Anpassung auf der anderen Seite.

@ 5555:
Zitat:
Weswegen es so wichtig ist mit anderen Autisten zusammen zu überlegen, was es sein könnte.

Gut, nur wo finde ich andere Menschen, die mir sagen können, was ein Autist denkt?

Zitat:
Ich glaube nicht, daß das auf Vieles und Wesentliches zutrifft. Allerdings ist die Empfindlichkeit viel größer, wenn die Lebensbedingungen in vielerlei Hinsicht schon nicht passen und deswegen eine enorme dauerhafte Belastung vorliegt, die praktisch immer vermeidbar ist.
Das hängt eben davon ab, wie die Störfaktoren gelagert sind.

Zitat:
Merkst du was?
Nein, was denn? Willst du sagen, dass ich zuschauen soll, wie er meinem Bruder weh tut? Oder soll ich meinem Bruder verbieten, in seiner Anwesenheit zu weinen?

Das mit der Geräuschempfindlichkeit war nur ein Beispiel, der autistische Junge, den ich betreue, liebt Geräusche. Nichtsdestotrotz ist es meiner Meinung nicht möglich, einen Menschen von allen störenden Elementen abzuschirmen. Das ist meine Meinung. Wenn ihr anderer Meinung seid - okay.

@azrael: Stimmt, in meinem Beitrag häuft sich wahrscheinlich die Formulierung "der Autist". Das ist so nicht gewollt, aber ich möchte ungern den Namen von dem Jungen, den ich betreue, nennen.

Zitat:
warum MUSS der autist (das ist so eine umschreibung wie "der mensch") festgehalten werden? wie reagiert er sonst auf körperkontakt?
Er muss in dem Augenblick festgahalten werden, damit er nicht meinem Bruder wehtut (mein Bruder kann ja nichts dafür, dass er weinende Menschen nicht aushalten kann). Ich halte ihn auch fest, wenn er auf die Straße laufen möchte, wenn da Autos fahren. Dass muss ich tun, um ihn und andere zu schützen. Ich weiß, dass viele autistische Menschen Körperkontakt als unangenehm empfinden, deshalb halte ich ihn nur in oben beschriebenen Situationen fest. Was würdest du denn an meiner Stelle tun?

Zitat:
wie wird etwas erklärt?
Ich erkläre ihm eben, warum mein Bruder geweint hat. Und zeige ihm, dass er in ein anderes Zimmer gehen kann, wenn möchte, aber das wehtun keine Lösung sein darf. Erkläre ihm, warum er nicht wehtun darf. Ich rede in kürzen, knappen Sätzen mit ihm, wenn er sich beruhigt hat. Er hat kein gutes Sprachverständnis.

Zitat:
wenn eltern oder andere eine schuld in den äußerungen hineinlesen, ist dieses in erster linie eine persönliche einstellungssache derjenigen, die so etwas daraus deuten. jedoch ist leider oftmals in den beschreibungen von eltern so - mitunter auch ausdrücklich - dass keine rücksicht "eingesehen" wird. äußerungen wie "wir können doch nicht immer zurückstecken". wäre es ein zurückstecken, nicht in allen räumen radio zu hören sondern nur in einem raum, sodass ggf. das kinderzimmer ein tatsächlicher rückzugs-/erholungsort für das kind sein könnte?

Natürlich gibt es Eltern, die keine Rücksicht nehmen wollen, aber es gibt eben auch die andere Sorte, genau wie alle Menschen unterschiedlich sind.
20.03.10, 20:41:41
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feder
(Autistenbereich)

Mag sein, dass ich Manches nicht erkenne. Meines Erachtens fordere ich nicht viel. Banales Beispiel: Ich kann es nicht ausstehen angefasst zu werden. Dennoch ist es anscheinend für Personen, mit denen ich so gut wie täglich zu tun habe, unmöglich, sich dies jeweils zu merken und mich nicht regelmässig zur Begrüssung zu umarmen. Da kann ich vermutlich so oft darauf hinweisen, wie ich will, ändern wird sich das nicht. Weiss nicht, vielleicht ist es schwer, sich auf solche - aus meiner Sicht - banale Dinge einzustellen. Wenn ich mit einer Person regelmässig, weitgehend freiwillig zu tun habe, dann bin ich auch bereit, irgendwelche Besonderheiten dieser Person zur Kenntnis zu nehmen und soweit es geht zu berücksichtigen. Vielleicht ist das aus NA Sicht schon zu viel Anpassung. Wirkt auf mich jedenfalls so.
20.03.10, 21:53:51
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Claudia12
(Standard)

@feder: Ich kann nur von mir reden, aber wenn ich weiß, dass eine Person nicht gerne berührt werden möchte, dann tue ich es auch nicht, außer eben in oben beschriebenen Situationen, wenn ich wirklich das Gefühl habe, ich muss ihn festhalten, weil er sich selbst oder andere in Gefahr bringt. Das ist für mich selbstverständlich, und in deinem Fall finde ich es nicht zu viel verlangt, wenn du darum bittest, dass die Person Berührungen vermeidet. Und dann finde ich es auch traurig, dass diese Person nicht darauf eingeht.
20.03.10, 22:06:27
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NorbertMN
(Standard)

Liebes Forum,

ich werde mich jetzt von hier verabschieden, aber nicht weil ich beleidigt wäre, sondern weil ich einfach nicht die Zeit und Energie habe, in zwei Foren zu posten.

Ich würde aber gerne noch was hinterlassen.

Ihr nehmt die Gesellschaft und nicht das Individuum in den Blick, und das finde ich gut. Behinderung ist sozusagen zweiwertig, transitiv und intransitiv: Man ist und man wird behindert. Ihr werft der Gesellschaft zu Recht vor, dass sie sich mit der Definition von Autismus als Behinderung aus der Verantwortung stiehlt, auch für Autisten erträgliche Bedingungen zu schaffen. Ich sehe das weniger an meinem Sohn als an meinem rumänischen Freund, den ich oben zitiert habe. Man kann sich an dessen ungewöhnliche Kommunikationsformen zum Teil gewöhnen, zum Teil kann man sie sich einfach verbitten. Ausgrenzen und entlassen muss man ihn nicht.

Bloß: Ich bezweifle, dass die Eltern von Autisten die richtigen Adressaten für eure Forderungen sind. Das ist wohl nur im Ausnahmefall so. Die es eigentlich angeht, verirren sich kaum in euer Forum.

Deshalb frage ich mich auch, ob ein Internetforum wirklich der richtige Ort für die fällige Auseinandersetzung ist. Info-Tische und Demonstrationen wären vielleicht glücklicher.

Eines kann ich mir aber nicht verkneifen: Es riecht bei euch ein bisschen nach Guru. 55555 kultiviert einen Sarkasmus, den manche andere, offenbar beeindruckte Poster nachzuahmen versuchen. Riecht nach Herdentrieb. Finde ich eines stolzen Autisten unwürdig.

Tschüs zusammen,
Norbert

P.S.: Nur eines noch, weil es um meinen Sohn geht und weil es mich verletzt hat. Azrael hat da einen Frontalangriff gefahren und geschrieben, dass ich Lorenz offenbar nicht verstehen wollte, weil ich nicht bereit bin, "hinter" sein Verhalten zu blicken. Das ist ein böswilliges Missverständnis. Richtig ist: Ich nehme sein Verhalten ernst. Wenn er nicht will, akzeptiere ich das. Ich schaue nicht "dahinter" und stelle dabei womöglich fest, dass er "im Grunde" doch will. Das wäre nach meinem Gefühl Manipulation und Zwang. Für mich ist das alles hier übrigens kein lustiges intellektuelles Spiel. Ich liebe meinen Sohn und beschäftige mich sehr damit, wie ich mich gegenüber ihm richtig verhalte.
20.03.10, 22:11:33
Link
55555
(Fettnäpfchendetektor)

Zitat von Claudia12:
Gut, nur wo finde ich andere Menschen, die mir sagen können, was ein Autist denkt?

Sorry, da fällt mir gerade nichts mehr ein.
Zitat:
Nein, was denn?

Daß in dieser Schilderung "Anpassung" nur von einer Seite verlangt wird? Aber ich denke diese Gedanken werden nichts bringen, solange nicht motiviert und ernsthaft überlegt wird, was den Alltag betrifft. Bisher habe ich nicht das Gefühl, daß dazu von euch zwei her der Wille in entsprechendem Maß vorhanden ist. Da bringt es auch nichts solchs Beispiele durchzukauen, solange ich das Gefühl habe, daß es hauptsächlich darum geht hier einen guten Eindruck zu machen. Ich habe nicht den Eindruck, daß die Herzen von euch beiden bei den jeweiligen Autisten sind. Natürlich kann ich mich irren, ihr werdet es wissen, wenn ihr mal ganz ehrlich zu euch selbst seid. Ein Kommentar dazu an dieser Stelle ist unnötig.
Zitat von Norbert NM:
Ich bezweifle, dass die Eltern von Autisten die richtigen Adressaten für eure Forderungen sind. Das ist wohl nur im Ausnahmefall so. Die es eigentlich angeht, verirren sich kaum in euer Forum.

Du kannst das gerne meinen, aber natürlich sind Eltern ganz entscheidende Personen im Leben eines Kindes und verstehen als NA erfahrungsgemäß einiges nicht, da ihnen halt die natürliche autistische Empathie abgeht.

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
20.03.10, 23:40:38
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