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Gast
(Gastzugang)

geändert von: [55555] - 05.03.10, 21:50:53

[Ausgelagert von hier, da neues Thema, mfg [5555]]

Hallo!

Ich habe mich jetzt mehr oder weniger durch das Lexikon und durch die ersten zwei Artikelbäume gelesen.

Was mir gut gefallen hat, war der Satz: "Ja, Autismus kann verstanden werden. Wenn Du ihn verstehst und seine Art akzeptierst, hilfst Du ihm."

Ich wüsste jetzt mal gerne: Wenn jemand autistisch ist, möchte er denn dann immer am liebsten von allen in Ruhe gelassen werden, d.h. auch keine neuen Leute kennen lernen, selbst wenn er sie - mal angenommen - attraktiv findet? Oder finden Autisten niemanden attraktiv?

Und gehört zu den Problemen der non-verbalen Kommunikation von Autisten eine gewisse Diskontinuität: Mal "schenkt" man ein freundliches Lächeln, mal nimmt man wenigstens Blickkontakt auf, aber immer nur dann, wenn man möglichst ungehindert das Weite suchen kann? (Das Exemplar benutzt dazu ein Aluminiumfahrrad, mit dem es im Bedarfsfall blitzschnell davonschießt).

Ich finde, ehrlich gesagt, nichts spannender als Kommunikation, aber auch nichts frustrierender als gescheiterte Kommunikation. Deswegen interessiert mich diese Situation, in der man sich offenbar gegenseitig aufgefallen und wohl auch sympatisch ist. Aber nach all den Verzweiflungsthreads von traurigen NA-Frauen, die ich hier gelesen habe, weiß ich nicht, ob ich nicht besser schnellstens das Weite suchen sollte.
Auf der anderen Seite liebe ich Langzeitprojekte. Ich finde, dass es nichts gibt, was einen so glücklich macht, wie wenn man mit derselben Sache ein paarmal gescheitert ist und es dann geschafft hat.

Also: soll ich meinen Autisten (wenn er denn wirklich einer ist, aber es ist, auch nach Andeutungen seiner Freunde, jedenfalls möglich) aus Rücksichtnahme lieber in Ruhe lassen oder, wenn nein: Kann man sich an Autisten irgendwie herantasten? Oder kann man sie einfach ansprechen nach dem Motto, hallo, bleiben Sie doch mal stehen mit Ihrem Fahrrad? Gibt es irgendein Zeichen, dass man sich besser verdrücken sollte? Die nonverbale Konversation kann´s ja wohl nicht sein.

Als NA-Frau sind mir diese naiven Fragen ziemlich peinlich, aber andererseits sehe ich an den bisherigen Beiträgen, dass Autisten superlogisch und sehr sympatisch sind (jedenfalls, wenn alle Beiträge aus dem Autistenbereich von Autisten stammen). Und ich bin alt genug, um den Dingen auf den Grund zu gehen.

Danke im voraus und lG
Gastine

P.S.: Ich habe keine Ahnung, ob das die richtige Stelle für meine Anfrage ist, vielleicht könnt ihr sie dorthin platzieren, wo sie hingehört und wo ich sie trotzdem wieder finde.
05.03.10, 21:17:20
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Fundevogel
(Angehörigenbereich)

Hallo Gastine,
ein Autist sagte mir mal, dass er "Projekte" abwickeln müsse. Er konnte sehr persönliche Nähe gut ertragen, wenn wir zusammen planten, arbeiteten oder uns über eine Sache unterhielten.

Formulierte ich etwas an seine Person gerichtet, das in irgendeiner Weise mit Emotionen zu tun hatte, verstummte er, log oder beschimpfte mich. Weil ich keine Kenntnisse hatte, war ich fürchterlich vor den Kopf gestoßen und musste ganz mühsam neu sehen lernen.

Ich habe hier im Forum verstehen gelernt, was Reizüberflutungen auslösen können und kann das Verhalten heute anders werten.

Es hatte es etwas von Antoine de Saint-Exupery: "Liebe besteht nicht darin, dass man einander anschaut, sondern dass man gemeinsam in dieselbe Richtung blickt.“

Beziehungen zu Autisten können genauso vermasselt werden wie Beziehungen zu Nichtautisten;)

Forthebeautyoftheearth

Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. (Johannes 8.12).
Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es denn allen, die im Hause sind. (Markus 4.21) (Lukas 8.16)
05.03.10, 22:08:20
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drvaust
(stillgelegt)

Zitat von Gast:
Ich wüsste jetzt mal gerne: Wenn jemand autistisch ist, möchte er denn dann immer am liebsten von allen in Ruhe gelassen werden,
Ich möchte grundsätzlich mehr in Ruhe gelassen werden. Aber nicht immer, ich brauche auch Kontakt zu Menschen.
Am besten ruhiger planmäßiger Kontakt mit einer einzigen Person gleichzeitig.
Zitat von Gast:
... auch keine neuen Leute kennen lernen, selbst wenn er sie - mal angenommen - attraktiv findet? Oder finden Autisten niemanden attraktiv?
Ich finde manchmal Personen, besonders Frauen, attraktiv (dabei habe ich einen eigenen Geschmack).
Aber das Kennenlernen ist schwierig.
Erstens kann ich das schlecht, weiß kaum wie. Wenn ich jemand anspreche, wird das schnell ein Fachgespräch (eigentlich wollte ich etwas persönliches), oder ich finde keine Worte, obwohl ich reden kann.
Zweitens, wie dann weiter? Gerade wenn ich, als Mann, eine attraktive Frau anspreche, erwartet diese dann bestimmte Sachen, und blockt ab oder ist verwirrt, wenn das nicht kommt. Aber ich wollte die Person nur kennenlernen, mal reden, nichts weiter.
Und wenn ich mehr will, merkt das Keine (ich war immer nur der gute Freund).
Zitat von Gast:
Und gehört zu den Problemen der non-verbalen Kommunikation von Autisten eine gewisse Diskontinuität: Mal "schenkt" man ein freundliches Lächeln, mal nimmt man wenigstens Blickkontakt auf, aber immer nur dann, wenn man möglichst ungehindert das Weite suchen kann? ...
Diskontinuität ist nicht typisch und mit nonverbaler Kommunikation hat das nichts zu tun.
Das klingt nach einem schüchternen Autisten. zwinkern Da brauchst Du Geduld. Schenke ihm auch freundliche Lächeln, wende Dich ihm zu, aber halte ihn nicht plötzlich fest. Vielleicht könnt ihr etwas zusammen machen, z.B. zusammenarbeiten. Oder sprich ihn mit einem sachlichen Thema an, z.B. über das Fahrrad. Wenn das länger geht, dann sprich ihn vorsichtig dazu an. Oder schreibe ihm einen Brief.
Aber es könnte auch sein, daß er nur freundlich ist, nicht mehr. Vielleicht hilft eine vorsichtige offene Frage.
Du schriebst, daß Du Freunde von ihm kennst. Vielleicht können die vermitteln.
06.03.10, 02:09:39
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haggard
(Autistenbereich)

hast du schon einmal versucht "das exemplar" anzusprechen?
bei mir sind die menschen oft frustriert, weil sie der meinung sind, ich hätte irgendwelche "reize" ausgesendet, was ich gewiss nicht getan habe bzw. meinen ich hätte sie angesehen und auch das habe ich nicht getan. aber wenn es die menschen schaffen meine aufmerksamkeit auf sie zu lenken, können sich manchmal interessante begegnungen daraus entwickeln.

bei den usern hier aus dem autistenbereich ist anzunehmen, dass sie tatsächlich autistisch sind.

als autist schreibe ich für mich und das bedeutet, dass ich auf der straße in ruhe gelassen werden will und dort somit auch keine neuen leute kennen lernen will ("kontakte pflegen", wenn man leute kennt, ist anstrengend bis "ich weiß nicht wie das funktioniert"). was attraktiv ist, weiß ich nicht. ich finde "einzelteile" interessant - aber das ist nicht auf menschen beschränkt. wenn menschen allgemein eine blauschimmernde hautfarbe besitzen würden, vielleicht.;) doch auch dann wäre es nur ein einzelteil.
geistig interessant können menschen werden - doch dafür müsste ich mit ihnen kommunizieren und das ist oft meinerseits ziemlich eingeschränkt möglich.

wenn ich einen "guten tag" habe und mich in sozialen marionettenspielen übe, lächele ich auch mal wen an oder wünsche einen guten tag. das ist anderen dann jedoch auch wieder suspekt, also lasse ich das. wenn ich von bekannten "klatschbasen" nicht "festgequatscht" werden will (weil ich nicht weiß, wie man monologartige "gespräche" beendet ohne andere einfach nur stehen zu lassen), eile ich auch schnell weiter.

spannende kommunikation - gut, frustrierende kommunikation mag ich auch nicht - aber sie ist es in den meisten fällen. falls in 95% der fälle kommunikation frustrierend verläuft, ist es für mich besser, erst gar nicht damit anzufangen.

in meinem bisherigen leben wurde ich immer von anderen angesprochen, die irgendwelche kontakte/beziehungen suchten. das ist das schlimme: andere leute können scheinbar nicht nur so befreundet sein.

mit mir fing mal eine person an über kinder an der haltestelle zu reden. ich habe mich gefragt was das soll und dachte die person hat wohl ein redebedürfnis. ein halbes jahr haben wir uns immer nur an dieser einen haltestelle unterhalten bzw. diese person hatte irgendetwas mir erzählt. wenn wir uns woanders über den weg liefen nicht (wahrscheinlich habe ich das oft nicht mitbekommen). irgendwann stellte die person fest, dass wir altersmäßig wohl nicht perfekt gewesen wären und so endeten die gespräche durch diese person. bis zu dem tag, an dem sie das alter interessierte, war ich nicht auf die idee gekommen, dass sie andere absichten hatte als mich vollzutexten.
06.03.10, 12:21:36
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

Zitat von Gast:
Wenn jemand autistisch ist, möchte er denn dann immer am liebsten von allen in Ruhe gelassen werden, d.h. auch keine neuen Leute kennen lernen, selbst wenn er sie - mal angenommen - attraktiv findet?

Nein, Autisten wollen an sich nicht besonders oft in Ruhe gelassen werden, denke ich. Unter den gegebenen Umständen dieser zufällig NA-geprägten Gesellschaft ist es jedoch oft so, daß Autisten durch die Umstände weit belasteter sind als NA, denn sie müssen sich in einem Umfeld bewegen, das in vielerlei Hinsicht nicht für sie gemacht wurde. Wäre diese Gesellschaft zufällig ähnlich einseitig autistisch geprägt, würden vielleicht durchschnittliche NA belasteter sein. Es hat also nichts mit Autismus zu tun, sondern mit der schlechten Lebenssituation, wenn Autisten mehr Ruhe haben wollen. Die aber ist änderbar und beim Kampf um Barrierefreiheit könnten NA-Freunde durchaus auch helfen, nachdem sie denn verstanden haben wo eigentlich die Probleme liegen (sonst geht es wohl eher schief).

Ein anderer Faktor ist die unterschiedliche Veranlagung, die an sich auch unabhängig von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Probleme hervorbringen kann. NA gehen wegen ihrer zufälligen Mehrheitsposition oft sehr arrogant davon aus, daß ihre Vorlieben, die sie für selbstverständliche menschliche Vorlieben halten und oft gar nicht hinterfragen, selbstverständlich sind. Etwa die Frage, ob man sich vor allem schriftlich oder bei physischer Anwesenheit kommuniziert.
Zitat:
Und gehört zu den Problemen der non-verbalen Kommunikation von Autisten eine gewisse Diskontinuität: Mal "schenkt" man ein freundliches Lächeln, mal nimmt man wenigstens Blickkontakt auf, aber immer nur dann, wenn man möglichst ungehindert das Weite suchen kann?

Das kann an der von Zeit zu Zeit mehr oder weniger angespannten Lebenssituation wie oben erwähnt zusammenhängen und würde bei NA unter ähnlichen Umständen wohl auch ähnlich erscheinen.
Zitat:
Also: soll ich meinen Autisten (wenn er denn wirklich einer ist, aber es ist, auch nach Andeutungen seiner Freunde, jedenfalls möglich) aus Rücksichtnahme lieber in Ruhe lassen

Aus Rücksicht auf ihn? Das hängt davon ab, inwieweit du wie oben im zweiten Absatz erwähnt für ihn eine direkte Zumutung darstellst aufgrund deines Verhaltens. Das kann ich aus der Ferne nicht einschätzen. Viele Autisten haben wohl auch aufgegeben zu hoffen, daß sich jemand nach ihren Empfindungen richten können wollte, die Enttäuschung kann schlimm sein, wenn sich wieder herausstellt, daß ein NA einen doch nur wieder angelogen hatte und im Nachhinein dieser in typischer Weise auch wieder nicht in der Lage ist offen zu kommunizieren und die Sache im Nachhinein zu klären. Autisten sind da wohl empfindsamer als NA, die oft eher auf sich bezogen durch die Welt gehen und sich nicht darum kümmern, was mit anderen Menschen passiert.
Zitat:
Kann man sich an Autisten irgendwie herantasten? Oder kann man sie einfach ansprechen nach dem Motto, hallo, bleiben Sie doch mal stehen mit Ihrem Fahrrad?

Was willst du denn von ihm?

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
06.03.10, 12:42:24
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Gast
(Gastzugang)

Hallo - vielen Dank für die vielen offenen Antworten!

Fangen wir mal von hinten an:

"Was willst du denn von ihm?"

Die Frage ist zwar ziemlich gut, nur läßt sie sich nicht mit einem ehrlichen "Freundschaft, Liebe" usw. beantworten. Ich kenne ihn nicht. Ich habe den Eindruck, dass er sehr intelligent und gleichzeitig sehr bescheiden ist und einen guten Geschmack hat. Aus beruflichen Gründen musste ich mir vor ca. einem Jahr eine Video-Aufzeichnung von ihm ansehen, in der er sich zu einem bestimmten, sicherlich emotionsbeladenen Thema äußert. Ich fand einfach großartig, wie er das gemacht hat.
Aus diesem Grund fiel mir auf, dass er in einem Lokal verkehrt, in dem auch ich oft bin und dass er gut mit einem Mann befreundet ist, mit dem ich vor vier Jahren etwa ein Jahr lang zusammen war. Danach saß ich ein paar Mal physisch neben ihm (zwar an einem anderen Tisch, aber eben physisch sehr nah), und das fühlte sich vertrauenerweckend und unaufdringlich an.

Der Gedanke, dass er vielleicht Autist sein könnte, kam mir deshalb, weil ich ein Buch gelesen habe, das u.a. über Parallelen zwischen der Kommunikation von Pferden und authistischen Menschen spricht (Monty Roberts: "Das Wissen der Pferde und was wir Menschen von ihnen lernen können"). Bei dieser Gelegenheit fiel mir wieder ein, dass für den Mann, mit dem ich vor vier Jahren zusammen war, das Thema Autismus eine Rolle spielte. Ich glaubte seinerzeit, er nähme das Thema für sich in Anspruch, um mir gegenüber keinerlei Verpflichtungen eingehen zu müssen, indem er z.B. sagte, Beziehungen bedeuteten für ihn schon per se Stress. Nach einem Jahr machte er mit der Paarbeziehung Schluss und ich machte da kurz danach "insgesamt" Schluss, weil ich nicht damit klar kam, die Bedingungen diktiert zu bekommen. Er war der Meinung, man solle doch in Kontakt bleiben und "ab und zu übereinander herfallen", wie er sich ausdrückte. Womöglich ein gut gemeinter Vorschlag, aber vielleicht auch verständlich, dass mich das in der damaligen Situation kränkte.

Erfreulicherweise ist der Mann, der mich "interessiert", sagen wir's mal so, nur an einem Tag in der Woche mit meinem Ex-Freund in dieser Kneipe. Er selbst hat einen sehr exakten Rhythmus, wann er hingeht: fast jeden Tag, aber zu jeweils unterschiedlichen Zeiten und so, dass man definitiv die Uhr bzw. den Wochenkalender danach stellen könnte. zwinkern

Ich habe ihm übrigens schon vor ca. 4 Monaten wirklich einen Brief geschrieben, den ich ihm im besagten Lokal eigenhändig (wenn auch wortlos, weil das für mich ein wirklich mutiger Schritt war) zugesteckt habe. Es stand im wesentlichen drin, dass ich gerne mit ihm kommunizieren würde und dass ich sicher sei, seine Antwort würde mich erreichen, wenn er das wolle.
Eine Woche später fand ich dann einen handgeschriebenen Zettel in meinem Zeitungsrohr, der für mich zunächst mal völlig sinnlos zu sein schien. Dort war in einem für mich komplett belanglosen Text mit einer anderen Farbe ein bestimmter Wochentag markiert, nämlich der, an dem er sich jede Woche mit meinem Ex-Freund in der Kneipe trifft.

Heute könnte ich mir vorstellen, dass der Zettel vielleicht wirklich von ihm kam und dass gemeint war, ich sollte am besagten Wochentag in die Kneipe gehen und meinen Ex-Freund als Mittelsperson benutzen. Ich hatte mit diesem sogar einige Wochen telefonisch Kontakt und er deutete an, er sei meistens nicht allein in der Kneipe und er habe nichts dagegen, wenn mich da mal dazusetzen würde.

Aber damals habe ich das nicht kapiert, und sicher bin ich mir nach wie vor nicht. Ich war jedenfalls der Meinung, ich hätte auf meinen netten Brief keine Antwort bekommen und Schluss. Deshalb ging ich nicht mehr in die Kneipe, wenn er da war, ich ging nicht mehr wieder joggen, wenn er - nach genauem, jede Woche wiederkehrenden Zeitplan - an einem bestimmten Wochentag eine alte Dame im Rollstuhl meine Joggingstrecke entlangschiebt.
Erstens fühlte mich verletzt, zweitens wollte ich ihm nicht auf die Pelle rücken (ich bin nämlich definitiv kein Stalker), und drittens dachte ich, ich hätte mich mit dem Brief so weit aus dem Fenster gelehnt, dass jetzt er an der Reihe sei. Ich habe ein Büro, ein Telefon, ein Fax und eine Website mit meinem Nachnamen und einem Kontaktformular. Es vergingen wie gesagt über 3 Monate, in denen ich ihn nicht gesehen habe.

Vor zwei, drei Wochen saß ich dann an einem Vormittag im Park und telefonierte mit meinem Handy. Da fuhr "das Exemplar" (nicht böse sein! Ich würde j e d e n Mann so nennen, um seine Identität zu verdecken, aber für bessere Nick-name-Vorschläge wäre ich dankbar) auf seinem Fahrrad an mir vorbei, nahm Blickkontakt auf (!) und lächelte mich geradezu "ausdrücklich" an. Ich lächelte dämlich zurück und fühlte mich machtlos, denn das Gespräch war beruflicher Natur und ich konnte nichts machen. Außerdem war ich völlig perplex.

Seitdem habe ich ihn ein, zweimal an mir vorbeifahren sehen, einmal hob er auch die Hand und winkte, aber als er schon vorbei war. Keine Ahnung ob er mich meinte und keine Ahnung ob er mich überhaupt gesehen hat.

Ich bin schlichtweg ratlos.

Was ich übrigens noch sagen wollte: Wenn NA's davon ausgehen, ihre Erwartungen an Kommunikation sei die normale, dann ist das keine Arroganz, sondern schlichte Ignoranz. Bis vorgestern hatte ich persönlich keine Ahnung, dass es sowas wie diese Community überhaupt gibt und was Autisten sind. Und das ist doch immer so: nicht umsonst weiß man umso besser, dass man nichts weiß, je mehr man sich in einem Thema wirklich auskennt. "Seht ihr den Mond dort stehen, er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn." (Matthias Claudius)

Vielen Dank im voraus für eure Kommentare!

Gastine



06.03.10, 21:54:12
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Fundevogel
(Angehörigenbereich)

Gastine: Den Zettel würde ich als indirekte Kommunikation bezeichnen.

Der Autist, von dem ich oben sprach, kommunizierte emotional mit mir über Musiktitel, Bilder und über die Farben seiner Kleidung. Wenn ich ihn direkr darauf ansprach, leugnete er dies.

In seinen Sach-Texten oder Vorträgen tauchte irgendwann ein Satz auf, der nicht zum Resttext passte und der die Information enthielt, die für mich bestimmt war. Ich habe irgendwo gelesen, dass das "U-Boot" genannt wird.

Wir verkehrten auf vielen Ebenen miteinander, was einerseits sehr bereichernd war, andererseits aber auch von mir enorme Konzentration verlangte, nichts Wichtiges zu verpassen.

Es kann sein, dass du einen sehr tief für dich empfindenden Menschen an deine Seite bekommst und es für die meisten NA so aussieht, als währt ihr zufällig zusammenstehende Arbeitskollegen.
"Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." Wenn du dahin gehen kannst, wäre es gut möglich, dass es klappt;).

Forthebeautyoftheearth


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Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es denn allen, die im Hause sind. (Markus 4.21) (Lukas 8.16)
06.03.10, 23:53:38
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

Zitat von Gast:
Eine Woche später fand ich dann einen handgeschriebenen Zettel in meinem Zeitungsrohr, der für mich zunächst mal völlig sinnlos zu sein schien. Dort war in einem für mich komplett belanglosen Text mit einer anderen Farbe ein bestimmter Wochentag markiert, nämlich der, an dem er sich jede Woche mit meinem Ex-Freund in der Kneipe trifft.

Meine Art wäre das nicht, ich hätte wohl direkt geantwortet, wenn ich an Kommunikation Interesse gehabt hätte. Mag sein, daß es Autisten gibt, die solche Spiele spielen, aber mir scheint es eher so zu sein, daß Autisten viel weniger Spiele spielen als NA und NA zuviel in Äußerungen von Autisten interpretieren. Daher finde ich diesen Dreh persönlich auch etwas bedenklich. Vielleicht finden sich hier ja Autisten, die so vorgehen.

Du scheinst ihn also interessant zu finden und deswegen Kontakt zu suchen.

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
07.03.10, 00:29:27
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Gast
(Gastzugang)

Danke auch hierfür! Zur Klarstellung: A ist keineswegs ein Arbeitskollege von mir. Zwischen dem Motiv des Video-Anschauens und einer Kommunikation über das konkrete Thema steht - abgesehen davon, dass er sie sicherlich nicht wünscht - eine berufliche Schweigepflicht.
07.03.10, 00:39:04
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drvaust
(stillgelegt)

Zitat von Gast:
... dass gemeint war, ich sollte am besagten Wochentag in die Kneipe gehen und meinen Ex-Freund als Mittelsperson benutzen. Ich hatte mit diesem sogar einige Wochen telefonisch Kontakt und er deutete an, er sei meistens nicht allein in der Kneipe und er habe nichts dagegen, wenn mich da mal dazusetzen würde.
Das wäre doch eine Möglichkeit, unverbindlich mal dazusetzen und einfach reden.
Vielleicht geht das Gespräch dann zu zweit weiter, oder anders.

07.03.10, 03:12:36
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Fundevogel
(Angehörigenbereich)

55555: Wenn ich Autist wäre und aus welchen Gründen auch immer ich Spiele spielen müsste, weil es nicht anders geht, wäre ich durch deine Herangehensweise an dieses ummäntelnde Verhalten etwas eingeschüchtert und würde wahrscheinlich nicht schreiben.

In von Autisten geschriebenen Büchern werden solche Verhaltensweisen ab und an geschildert.

Ich verstehe das Ratgeberforum so, dass man dort auch hinkommen kann, wenn man Eigenheiten hat, die unter einer Vielzahl von Autisten keine große Wertschätzung genießen.
Letztlich liegt doch irgendeine Barriere vor, die Menschen zu solchen Überlebenstechniken greifen lässt.

NA, die irgendetwas falsch interpretieren, weil sie bei A auf unerklärliche Signale trafen, scheitern letztlich auch an einer Barriere.

Und um Barrieren aller Art (auch diejenigen, die wir vielleicht persönlich nicht nachvollziehen können) reduzieren zu lernen, reden wir hier miteinander und lernen sehr viel für unsere zwischenmendschlichen Kontakte hinzu. Einfach gut;)

Forthebeautyoftheearth

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Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es denn allen, die im Hause sind. (Markus 4.21) (Lukas 8.16)
07.03.10, 12:50:02
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Gast
(Gastzugang)

Hallo zusammen!

Indirekte Kommunikation - ich denke, wir werden´s nicht ergründen, ob der Zettel das war oder nicht. Es ist schon möglich. Ich habe (ebenso wie A - das ist übrigens auch ein Grund, weshalb ich ihn interessant finde) ziemlich lange im Mittelmeerraum gelebt, und da gibt es das schon. Ich denke, weil dort die sozialen Beziehungen, besonders zwischen den Geschlechtern, noch etwas konservativer geprägt sind als hier und deshalb Kommunikation öfter mal "durch Rauchzeichen" stattfindet. So nenne ich das, weil ich es zumindest für den Erstkontakt nicht gut finde. Später sind solche Heimlichkeiten sehr reizvoll und drücken etwas aus, was ich hier nur ganz selten erfahren habe: Komplizenschaft, speziell zwischen Männern und Frauen. Ich vermisse das ganz schön.

Wie auch immer: Wenn der Zettel von ihm kam, wird er gemerkt haben, dass er nichts gebracht hat, sonst hätte er mich sicher nicht Wochen später im Park angelächelt.

Und natürlich habe ich auch schon daran gedacht, an einem schönen Samstag in der Kneipe aufzutauchen und mich dazuzusetzen. Problem: Die stehen da immer mindestens zu dritt an einem der Rauchertische, auch bei Eiseskälte, alles Männer, alle schweigsam und introvertiert, und jeder einzelne von ihnen überragt mich um Haupteslänge. Noch dazu ist der formelle "Ansprechpartner" mein Ex-Freund, den ich seit Monaten nicht gesehen und außer einem Telefongespräch (habe mich in der letzten Message falsch ausgedrückt: ich hatte nicht ü b e r Wochen telefonischen Kontakt mit ihm, sondern nur einmal, nämlich Wochen vor dem Tag, an dem der Zettel ankam) seit Jahren nicht gesprochen habe.

Außerdem ist es eine Kneipe, wo überhaupt mehr Männer als Frauen zu Gange sind, das ganze Inhaber- und Kellnerteam sind Männer, und zwar Italiener. Ich mag sie zwar gern, weil sie super kochen und, wenn sie sich anstrengen, auch richtig gut sind, aber sie amüsieren sich auch mit der Beobachtung ihrer Gäste. Ich habe mal gehört, jeder Gast hätte beim ihnen irgendeinen Spitznamen. Und sie tratschen erwiesenermaßen.
Davon abgesehen werden Frauen dorthin eigentlich eher "mitgenommen". Das beste ist, du bist ein "süßes Geschöpf", nicht dumm, aber unbedingt niedlich. Nur, ich bin halt keins. Stellt euch vor, ich übe mich schon seit Monaten darin, dort an einem Tag der Woche als Frau ganz allein zu essen. Das kostete am Anfang richtige Überwindung, zumal es einen Stammgast gibt, der mich immer "mitgenommen" hatte und ernsthaft sauer war, wenn er plötzlich - von den Kellnern! - hörte, dass ich allein dort war. Aber inzwischen hat sich die Sache soweit eingespielt, d.h. sie sind sehr höflich und auch freundlich zu mir. Ich freu mich drüber und halte das für den Lohn meiner Geduld und Ausdauer, und nicht zuletzt Courage.

Ihr seht, auch NA haben so ihre Schwierigkeiten. Man kann sich, glaub´ich, wenn man jemanden nicht wirklich gut kennt, keine Vorstellung davon machen, was es ihn "kostet", dies oder das zu machen.

Nur, es hilft ja nichts. Ich denke, ich werde in ein paar Wochen mal am Samstag mit meiner mittlerweile eingeweihten Freundin hingehen, wenn es wenigstens nicht mehr so kalt ist, und vielleicht vorher meinen Ex anrufen.

Trotzdem wird das ein Akt. Es kommt mir vor wie beim Stierkampf, bei dem der Torero 5-6 Mann an seiner Seite hat, die den Stier sofort ablenken, wenn´s für ihn gefährlich wird. Und wer hier der Torero und wer "nur" der Stier sein darf, das ist durch den Ort vorbestimmt. Im Park als Krankenpfleger oder wenigstens als Fahrradfahrer und ohne seine Kumpels, das wäre schon weniger einschüchternd für mich.

Aber vielleicht könnte jemand von euch ja freundlicherweise mal dieses Stierkampf-Bild in meinem Kopf durch ein anderes austauschen. zz-zwinkern

Ich möchte euch noch sagen, dass ich eure Antworten ganz toll finde. Fühle mich sehr geholfen!

Schönen Abend noch

Gastine







07.03.10, 23:02:27
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