Es war Krieg und offenbar haben nicht wenige geglaubt, daß der Krieg gewonnen werden wird.
Das ist aber kein Grund dafür anzunehmen, dass nie eine Zeit kommen werde, da die Naziverbrechen auch bestraft werden. Zumindest weiß ich, dass Bert Brecht angenommen hatte, es werden wieder bessere Zeiten kommen. Er schrieb ein Gedicht mit dem Titel "An die Nachgeborenen", das das meines Erachtens sehr gut belegt und setzte sich mit dem Unrechtsstaat des Dritten Reichs seinerzeit auseinander. Nein, definitiv ist es nicht so, dass KEINER gedacht hätte, dass auch eine Zeit kommen wird, da die Naziverbrechen bestraft werden.
So wie heute z.B. das Zulassen selektiver Abtreibungen durch einen Staat, der hierzu eigentlich eine Schutzpflicht hätte? So wie heute Geheimgerichte betrieben werden, die über alles mögliche entscheiden, was nur eine Elite von (an dieser Ausgangslage gemessen) Antidemokraten wissen darf?
Ja, es gibt auch jetzt ganz aktuell staatliches Unrecht. Welche Geheimgerichte Du meinst weiß ich jetzt nicht wirklich, kann mir aber Verschiedenes vorstellen, was Du meinen könntest, etwa dass gewisse Entscheidungen nicht von der Judikative sondern von Privaten getroffen werden, die Sache der Judikative wären. Wir leben keineswegs in einer Welt ohne staatlich geduldetes oder auch verordnetes Unrecht. Das würde wohl auch kaum jemand ernsthaft behaupten.
Nur weil viele bei Unrecht mitmachen heißt das ja nicht, dass die Leute alle überhaupt nicht auf die Idee kommen, es sei Unrecht. Selbstverständlich haben auch die heute lebenden Menschen etwas, das sich Moralempfinden nennt und sie sind grundsätzlich auch dazu in der Lage, staatliches Unrecht als solches zu identifizieren. So war es im Dritten Reich, in der DDR und auch heute. Ich jedenfalls kenne Menschen, die das können.
Es ist jedenfalls nicht "KEINER". Deswegen tragen auch heute die Menschen die Verantwortung für ihr Handeln und eben nicht bei Unrecht mitzuwirken, auch wenns staatlich geduldet oder verordnet ist.
Ich denke wir sind da einer Meinung.
Zitat:
Mit diesen Grundsätzen kommt man dann weiter, wenn solches staatliches Unrecht eben nicht auf der ganzen Welt gilt, sondern nur in bestimmten Staaten.
Das sehe ich anders.
Ich verstehe nicht, warum Du es anders siehst. Ich meine den Fall, indem auch das Völkerrecht unrecht ist. Da hilft es dann nicht, mit völkerrechtlich festgelegten Menschenrechten anzukommen, weil dann das Völkerrecht selbst ein Problem ist. Da kann man dann nicht damit argumentieren, von vielen anderen Staaten werde das Unrecht erkannt. Da muss man dann schon weiter gehen, als es die vorhandene Rechtsprechung tut.
Aber was war jemals "wirklich allgemeingültig"?
Weiß nicht. Das war nur ein theoretischer Gedanke. Ich habe mir auch dabei gedacht, dass so eine Lage vermutlich nicht eintreten wird und nie vorlag. Selbst als die Sklaverei sehr weit verbreitet war gab es Menschen, die erkannten, dass es Unrecht ist und ich vermute auch, dass es keine Zeit gab, wo das wirklich überall allgemeingültig für Recht befunden wurde. Sicher bin ich mir da aber auf Grund historischer Wissenslücken nicht.
Und welche Rolle sollte das spielen, wenn ein überzeugter Nazi z.B. gar keine Gelegenheit gehabt hätte sich sonderlich mit ausländischen Haltungen auseinanderzusetzen?
Falls Du reale Nazis im Dritten Reich in unserer realen Welt meinst: Keine.
Worauf es allerdings für die Frage, ob jemand bestraft werden sollte oder nicht ankommt ist die Frage, ob jemand eine Chance zur Erkenntnis haben konnte, dass er Unrecht tut. Der genannte Nazi hatte diese ohne ausländische Ansichten kennen zu müssen, denn es war auch im dritten Reich nicht so, dass die Menschen auf einmal völlig ohne Mitleid für ihre Mitmenschen gewesen wären. Auch die SS-Leute in den KZs nahmen durchaus wahr, dass sie Unrecht taten.
Es heißt, sie hätten sehr viel gesoffen, um das massive schlechte Gewissen zu unterdrücken. Es heißt zwar, dass es auch Leute gibt, die kein Gewissen haben, die also das nicht fühlen können, dass sie Unrecht tun. Aber auch diese Menschen wissen, dass andere das empfinden und können sich das dann vom Verstand herleiten.
Wenn man aber nun, theoretisch betrachtet, wirklich keine Chance hat, zu erkennen, dass man Unrecht tut, dann ist in einem Strafsystem, das auf Schuld und Verantwortung beruht Unrecht, für das unerkannte und unerkennbare Unrechttun bestraft zu werden. Wo nun Verantwortung beginnt und wo sie endet ist nicht mal eben pauschal zu beantworten. Da hilft nur, es differenziert zu betrachten und die Komplexität hinzunehmen.