03.06.16, 09:48:14
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Als Blick über den Tellerrrand mal ganz interessant, denke ich:
Zitat:
Unter der Schirmherrschaft der Pro Juventute nahm die Organisation zwischen 1926 und 1973 rund 600 jenische Kinder ihren Familien weg und platzierte sie in Heimen oder bei Pflegefamilien.
Eines dieser Kinder war Ursula Maria Waser, geboren 1952, Heimatort Obervaz GR, «illegal», wie es auf dem Transportbefehl heisst, den der Landjägerposten Samaden drei Monate nach ihrer Geburt ausstellt. Uschi Waser kommt ins Kinderheim, ins erste von 23 Heimen, in denen sie bis zur Volljährigkeit untergebracht wird.
[...]
Das Schlimmste war das Lesen ihrer eigenen, umfangreichen Akte («3500 Seiten, 25 Kilo»), die sie mit 37 Jahren erstmals einsehen konnte. Das war Ende der Achtzigerjahre, der Fichenskandal beschäftigte die Schweiz. Da meldeten sich ehemalige fremdplatzierte Kinder jenischer Eltern, die ihre Akte einsehen wollten. Uschi Waser kämpfte an vorderster Front dafür. Heute sagt sie: «Es ist zweischneidig, solche Akten zu lesen. Einerseits wollte ich wissen, was da steht. Anderseits hat mich das zerstört. Und es lässt mich bis heute nicht los.»
«Erneuter Ableger an Vagantität» stand als Vermerk zu ihrer Geburt. Über die Vierjährige notierten die Betreuer, sie habe es «ausserordentlich auf die Buben abgesehen». Die Rede ist von «krankhafter Lügenhaftigkeit», «Schwererziehbarkeit», sie sei «moralisch schwierig», wolle ständig abschleichen, besitze «typische Eigenschaften von Vagantenkindern».
Nun war ihr klar, warum sie den Prozess gegen den Mann ihrer Mutter verloren hatte, den sie als 15-Jährige wegen Vergewaltigung angezeigt hat. In der Urteilsbegründung hiess es, die Nebenklägerin habe sich zwar nicht widersprochen. Doch angesichts ihrer Vorgeschichte und aufgrund fehlender Beweise wurde der Stiefvater freigesprochen. «Wie hätte ich eine Chance haben sollen bei allem, was in meinen Akten über mich geschrieben steht?»
Quelle