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behindern sich NA selbst?

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07.06.09, 16:14:31

zoccoly

Ich bin zurück aus dem Überlebenscamp, noch immer stark beeindruckt, noch nicht mental zu Hause angekommen und noch nicht realisiert, was ich erlebte.
Wir waren eigentlich nur drei Tage dort und es fand eine rasante Veränderung aller Beteiligten statt.
Ging es zuerst noch darum, eine möglichst gute Note zu erhalten, geriet diese Motivation zunehmend in den Hintergrund.
Unser Luxus und so empfanden wir ihn, bestand aus einem Feuer und der Möglichkeit heißen Tee zu trinken.
Wir lebten in Zelten bei Nachttemperaturen von 3 Grad Celsius und in Sommerschlafsäcken.
Unser Arbeitstag begann manchmal um 5.00 Uhr und endete um 18.00 Uhr.
Was war passiert? Versuchten die Schüler anfangs als Gruppe klar zu kommen, sich zu positionieren, spielte das bald gar keine Rolle mehr, die Zensuren rückten in den Hintergrund, Konkurrenzdenken kam nicht auf und am dritten Tag half man anderen Gruppen ohne darüber nachzudenken, dass diese eventuell eine bessere Note dadurch bekämen.
Es war sehr ruhig im Camp, kein Radio, keine lauten Gespräche, nur Rücksichtsnahme.
Gab es mal nichts zu tun, wurde sich Arbeit gesucht, um die Crew zu unterstützen.
Am Abend fand kein Small Talk statt, vor dem ich so viel Angst hatte, sondern tief greifende Einzelgespräche.
Ein Nachdenken über Werte begann.
Beim Abschied weinten Einige.
Ich wollte mich hier nur mal mitteilen und überlege, ob NA unter den Umständen, die sie selbst geschaffen haben, sich nicht auch behindern, sich von sich selbst entfernen und dies ihnen nicht gut tut.
07.06.09, 17:07:26

Rikki

ich denke da gerade an solche situationen wenn menschen sich so sehr in ihre arbeit (oder ähnliches) vertiefen und sich reinsteigern dass sie völlig überarbeitet sind und nicht mehr aus den Umständen entfliehen können die sie sich geschaffen haben.
oder sie stürtzen sich emotional in löcher aus denen sie nicht mehr rauskommen in dem sie immer eine art von menschen für eine bezeihung suchen die ihnen eigentlich schadet.

sowas sehe ich als sehr hinderlich für den betroffenen... ist es sowas was du damit meinst?
sowas passiert tatächlich relativ oft denke ich, aber es passiert auch Autisten und nicht nur NAs wie ich persönlich bezeugen kann :)
07.06.09, 17:53:55

zoccoly

Ich hatte es auf materielle Werte bezogen.
Mir ist aufgefallen, dass sich Wertigkeiten und damit verbunden auch Verhaltensweisen sehr schnell verändern können,wenn sich die äußeren Umstände ändern.
Es gab keine Möglichkeit mehr, sich über Besitz oder Aussehen zu definieren und ich hatte den Eindruck, dass die Verhaltensweisen, die mir bei NA immer sehr negativ auffallen und wofür meines Erachtens auch NA viel empfänglicher sind, in den Hintergrund traten.
07.06.09, 18:34:49

anne1

Hallo, Zoccoly,
wow, wo warst Du?

Ich hatte mal im Fernsehen so eine "Zeitreise-Dokumentation" gesehen,
wo 2 Familien für ? 30 Tage unter Steinzeitbedingungen lebten.
Das einzige Problem war, genug zu essen zu finden,
und alle waren emotional total entspannt und zentriert im Hier und Jetzt. Fanden sie zumindest im Nachhinein.
Kein Streß, keine Hektik, nur eine kleine Gruppe mit den üblichen zwischenmenschlichen Problemen, die aber wegen der Nahrungssuche umgehend gelöst werden mußten ...
sich fügen unter die Notwendigkeit der Naturgewalt...
Ernährung, Fortpflanzung, Arterhaltung, Selbsterhaltung...
(nein, danke,nicht für mich)
viele Grüße,
anne
07.06.09, 18:55:28

55555

Mal so überlegt: Vielleicht sind Autisten eher so, weil sie einen anstrengenderen Alltag haben und es an diesem liegt, daß Wertempfinden sich verschiebt?
07.06.09, 21:52:57

Bluna

An Zoccoly:
Wobei behindern sich NA deiner Meinung nach?
Welche Verhaltensweisen fallen dir bei NA immer sehr negativ auf?
Mir ist nicht ganz klar,um was es dir geht.Gruppendynamiken,oder meinst du den einzelnen Menschen,der sich behindert?Oder gegenseitig behindern?
07.06.09, 22:32:59

zoccoly

geändert von: zoccoly - 07.06.09, 22:36:43

@ 55555

Mit Sicherheit ist an deiner Aussage etwas dran, wenn man mit einem anstrengenden Alltag beschäftigt ist, schätzt man mit Sicherheit ganz schnell andere Werte.
Wenn ich aber von mir ausgehe, habe ich zwar einen anstrengenden Alltag, aber soziale Sicherheit. Ich vermute, dass die fehlende Sicherheit viele NA enorm belastet, sie sich selbst enorm zurücknehmen müssen, um den Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Eventuell ist der Kraftaufwand dadurch zu meinem identisch. Trotzdem sind viele NA immer noch damit beschäftigt sich über materielle Werte zu definieren, diese anzustreben, sich damit abzuheben.Ich sehe trotz zunehmender Arbeitsbelastung in der jetzigen Zeit keinen Wertewandel.Vielleicht liegt es daran, dass sich das materielle Denken, der Fokus auf das Geld verselbstständigt hat, ich weiß es nicht.

@ Bluna

NA behindern sich meiner Meinung dadurch, dass sie ein System geschaffen haben, das sich zunehmend über Besitz und Optik definiert. Dadurch entstehen Verhaltensweisen wie Neid, Egoismus, Rücksichtslosigkeit, mangelnde Hilfsbereitschaft und wenn, dann oft nur zum eigenen Zweck usw.
Sie entfernen sich durch das materielle Denken zunehmend von sich selbst, vom Menschlichen.
Sie blockieren ihre eigene Entwicklung.
Im Camp gab es keinen Raum für dieses Denken, es machte einfach keinen Sinn und die Verhaltensweisen veränderten sich.
08.06.09, 11:17:50

blue_eye

Zitat von zoccoly:

Ich vermute, dass die fehlende Sicherheit viele NA enorm belastet, sie sich selbst enorm zurücknehmen müssen, um den Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Eventuell ist der Kraftaufwand dadurch zu meinem identisch.

Da dürftest du vollkommen Recht haben.
Fehlende Sicherheit erzeugt bei uns NAs sicher eine Zukunftsangst. Es gibt doch viele Abgerutschte, die irgendwann auf der Strasse leben. Wer möchte das schon?
Hier sehe ich z.B. keinen Unterschied zu meiner 'kleinen Autistin' (andere kenne ich nicht), die arbeitet und sich um ihre spätere Rente sorgt. Im Gegenteil. Sie schluckt mehr als ich runter, nur um im Job zu bleiben. Manchmal muss ich staunen.
Natürlich ist sie nach der Arbeit entsprechend fertig. Der Umgang mit den NA-Kunden und -Kollegen scheint sie viel Kraft zu kosten.
Zitat:
Ich sehe trotz zunehmender Arbeitsbelastung in der jetzigen Zeit keinen Wertewandel.

Ich sehe ziemlich klar einen Wertewandel in der NA-Welt bei sehr vielen. Vor allem bei Jugendlichen. Die wirklichen Werte schwinden leider zunehmend.
Zitat:
Sie entfernen sich durch das materielle Denken zunehmend von sich selbst, vom Menschlichen.

Menschlichkeit? An der Alltagsoberfläche ist sie selten zu sehen. Sie taucht seltsamerweise in Notsituationen dann unverhofft bei Leuten auf, von denen man es absolut nicht erwartet hatte. Der 'weiche Kern' im Menschen, der im Alltag wegen des Daseinskampfes verborgen bleiben muss. Sonst gilt man wohl als schwach. Aber es gibt diesen 'Kern' bei den mei meissten noch. Gottseidank!
Hier spielt nach meiner Meinung sowas wie Mitgefühl bzw. Mitleid den Auslöser.

Mich würde mal interessieren in welcher Art Camp du warst.
Ich kenne so etwas nur von früher: Pfadfinderlager. Und noch etwas krasser bei der Bundeswehr auf gewissen Lehrgängen in der Natur und auf sich selbst gestellt. Eben Überlebenstraining.

(Sorry, dass ich mich als NA hier einmische. Ich fand das Thema sehr interessant.) ;)
08.06.09, 12:31:24

Bluna

Die Frage die bei mir entsteht ist:
Was ist denn das speziell "Menschliche" von dem sich durch das materielle Denken entfernt wird?
Wenn ich mir das Ganze jetzt mal im Extrem vorstelle,also vorm Lagerfeuer,ohne das Wissen,dass mich der Bus in zwei Tagen wieder heimbringt,im Konkurrenzkampf ums nackte Überleben,ich weiß nicht,ob da bei mir das Mitgefühl siegen würde.
Ich habe mal einen Film gesehen über eine gescheiterte Expedition per Schiff in die Arktis.Es ging um rund 200 Leute und ihren anderthalb Jahre dauernden Überlebenskampf im Eis(man hat die Vorgänge anhand von Knochenfunden rekonstruiert).
Was bleibt da übrig vom Menschlichen?
08.06.09, 13:16:26

blue_eye

Ich glaube wenn es wirklich ums 'nackte Überleben' geht, also Leben oder Tod, spielt Mitgefühl keine Rolle mehr. Dann ist sich sicher jeder selbst der Nächste. Der Schwächere hat dann jedoch verloren wie in der Tierwelt.
Diese Entscheidung musste z.B. jeder treffen, der im Krieg plötzlich einem einzelnen schussbereiten Feind gegenüberstand. Er oder ich. Doch auch hier gibt es Beispiele, in denen beide ihren 'weichen Kern' spürten und nichts unternahmen. Die Feindschaft war schließlich eine befohlene und keine eigene. Es soll sogar so entstandene Freundschaften aus diesen Zeiten geben.
08.06.09, 17:43:49

zoccoly

geändert von: zoccoly - 08.06.09, 17:49:17

Zitat von blue_eye:

Ich sehe ziemlich klar einen Wertewandel in der NA-Welt bei sehr vielen. Vor allem bei Jugendlichen. Die wirklichen Werte schwinden leider zunehmend.


Könntest du das begründen?
Ich sehe nämlich, dass gerade Jugendliche ungleich härtere Bedingungen haben, als ich sie zB. hatte, dass sie sehr schnell erwachsen sein müssen und ihre Jugend gar nicht mehr richtig genießen können, geschweige denn ausleben. Es ist klar, Ausnahmen bestätigen die Regel.
Einen Wertewandel, weg von den wirklichen Werten sehe ich unter Jugendlichen nicht.
Manchmal sind diese Werte verborgen hinter einer Schutzschicht, das zeigt sich zB. durch ein scheinbar respektloses Verhalten, das ist aber nur "Fassade"

Edit, von welchem Zeitraum sprechen wir?

Zu deiner Frage, es war ein Camp, in dem wir per Hand und Muskelkraft aus einer abgezogenen Haut mit Hilfe von Schweinehirn Leder herstellten. Der Begriff Überlebenscamp ist in diesem Fall irritierend, es war ein Kursangebot dieses Camps.
16.06.09, 23:31:26

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